Von Robert Jende auf Freitag, 04. Oktober 2024
Kategorie: allgemein

Ein Wochenende im Paradies

Das Urban-Gardening-Sommercamp 2024

Der Garten Eden gilt als Paradies auf Erden und als unerreichbarer Sehnsuchtsort. Seitdem der Mensch aus dem Paradies vertrieben wurde, sucht er vergeblich nach einem solchen Eldorado der Glückseligkeit. Kindern wird nachgesagt, dass sie die Welt auf eine aufgeschlossene Weise betrachten – mit Kinderaugen eben. So begab es sich einst im Aprikosengarten in Dresden, dass der kleine Malte seinem gleichaltrigen Freund Henri einen besonders schönen Ort in ebenjenem Garten zeigen wollte, den er schon kannte. Henri war zum ersten Mal im Aprikosengarten. Malte nahm ihn an die Hand und führte ihn zu dieser Stelle. Voller Freude und ganz aus dem Häuschen rannte Henri zu den Erwachsenen zurück und rief seiner Mutter zu: „Mama, Mama, du musst unbedingt mitkommen, da hinten ist das Paradies.“ Die beiden Kinder haben das Paradies entdeckt. Es war längst da. Mit dieser hier ausgeschmückten Geschichte eröffnete Claudia Petersen vom Ernährungsrat der Lokalen Agenda Dresden ihr Statement auf der eröffnenden Fishbowl-Diskussion.

Vom 30. August bis 1. September 2024 fand in der Alten Gärtnerei Dresden das von der anstiftung veranstaltete Urban-Gardening-Sommercamp statt. Bei strahlendem Sonnenschein gehe ich durch eine schmale Gartentür und befinde mich augenblicklich in einem Naschgarten, die Pforte zu einem knapp ein Hektar großen Paradies inmitten einer alten Arbeiterwohnsiedlung in Pieschen. Unter den zahlreichen Schatten spenden Bäumen verteilen sich überall kleine Sitzgelegenheiten mit Tischen und Stühlen. Der Garten erfüllt viele Zwecke und befriedigt unterschiedliche Bedürfnisse.

Neben dem gewerblichen Anbau von Beeren zum Selberpflücken und Gemüse gibt es einen ehrenamtlich umsorgten Gemeinschaftsgarten. Es werden Workshops angeboten, Partys veranstaltet, es wird gekocht und gegessen oder Schulklassen durch den Naschgarten und die Himbeerreihen geführt. Der Kompost wurde bewusst in der Mitte des Gartens platziert. Er ist Dreh- und Angelpunkt des Stoffkreislaufs, zersetzt das Alte und wird zur Grundlage des Neuen. Die Alte Gärtnerei in Dresden ist ein Ort der lebendigen Vielfalt.


Programm


Diese Vielfalt spiegelte sich auch im Programm des Urban-Gardening-Sommercamp wider. Es wurden konkrete Praxisworkshops angeboten, beispielsweise über die artgerechte Beschneidung von Obstbäumen, die Gestaltung von Waldgärten und Permakultur, wie durch Kompostierung Nährkreisläufe geschlossen werden können oder wie ein Wurmkompost funktioniert. Ein weiteres Themenspektrum befasste sich mit der Organisation von und Kommunikation rund um Gemeinschaftsgärten. Es waren sowohl Mitarbeiter*innen der Stadtverwaltung eingeladen, als auch Akteure, die das System bottom up „hacken“ wollen, um die Besonderheiten eines Gemeinschaftsgartens Entscheidungsträger*innen verstehbar zu machen. Gemeinschaftsgärten wurden auch als Ankommensorte für geflüchtete Menschen vorgestellt – ein Thema, das für eine postmigrantische Gesellschaft von besonderem Interesse ist. Zudem gab es das Wochenende über immer wieder Verständigungen zwischen dem wilden Praktizieren im Garten, der rechtlichen Einordnung in den Ämtern und den Aufgaben und Vorzügen von (urbanen, interkulturellen) Gemeinschaftsgärten. Das gesamte Programm findet ihr hier.

Nach der Eröffnung an der Sommerküche (Abbildung 3) und einer anschließenden Führung durch das Gartengelände (Abbildung 4 & 5), wurde am Freitagabend der Dokumentarfilm Gemeinschaftsgärten in Paris und Berlin: zwei Perspektiven – gleiche Konflikte? im Gewächshaus gezeigt. Durch den Abend führten die beiden Hauptverantwortlichen der Doku Kerstin Stelmacher und Laurence Baudelet Stelmacher. Der Film handelte von einer Berliner-Pariser-Austauschgruppe, die jeweils die andere Stadt besuchten, um die Gemeinsamkeiten und Unterschiede des gemeinschaftlichen Gärtners zu ergründen.

Auftakt

Der Samstagmorgen begann mit einem gemeinsamen Frühstück und der Vorstellung des Tagesprogramms. Ab 10 Uhr konnten die Teilnehmer*innen des Workshop Gartenradio – Radio Selbermachen live in der eigens aufgebauten Funkstation besuchen. Das Gartenradio bzw. coloRadio begleitete das gesamte Sommercamp und hat die einzelnen Veranstaltungselemente hier in einer Sondersendung für die Nachwelt festgehalten.

Den inhaltlichen Auftakt des Sommercamps machte am Samstagvormittag die Fishbowl-Diskussion Von Gemeinschaftsgärten zur Vision einer Essbaren Stadt, die sogleich den thematischen Rahmen absteckte. Auf dem Podium saßen (v.l.n.r.) Eva Jähnigen, zweite Bürgermeisterin der Stadt Dresden und Beigeordnete für Umwelt und Klima, Recht und Ordnung; Christa Müller, Soziologin und Leiterin der anstiftung; Claudia Petersen, Projektkoordination Ernährungsrat/AG Essbare Stadt bei der Lokalen Agenda Dresden und Toni Karge, Gartenaktivist und Mitarbeiter der Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz im Referat Freiraumplanung und Stadtgrün Berlin. Moderiert wurde die Runde von Marilisa Herchet, Mitarbeiterin in einem Citizen-Science-Projekt der TU Dresden. Links und rechts der Podiumsrunde wurde jeweils ein Stuhl für Gäste aus dem Publikum freigelassen, die sich abwechselnd aktiv einbringen konnten.

Mit dem Titel des Podiums wurde die Frage nach der transformativen Reichweite von (urbanen) Gemeinschaftsgärten gestellt. Es ging allerdings weniger um die Vision einer essbaren Stadt, da eine solche kaum zu definieren sei. Im Zentrum der Diskussion standen allgemeine Fragen rund um die Organisierung von Gemeinschaftsgärten, der Besetzung des Podiums entsprechend aus einer vorwiegend kommunalverwalterischen und rechtlichen Perspektive. Mit Christa Müller wurden auch einige historische und soziologische Schlaglichter gesetzt. Es kamen diverse Spannungsfelder zum Vorschein. So können (urbane) Gemeinschaftsgärten die Vorstellung von Stadt verändern und Lebensmodelle jenseits der von Lohnabhängigkeit und vom Autoverkehr geprägten Stadt denkbar und anschlussfähig machen. Alle auf dem Podium waren sich einig: Gärtnern ist politisch. Ob und wie weit sich Gemeinschaftsgärten ausbreiten würden, hänge vom politischen Willen ab und der scheint nicht überall gegeben. Toni Karge gab zu bedenken, dass die Grundlagen für einen „Rollout“, also einer flächendeckenden und systematischen Ansiedlung von Gemeinschaftsgärten, gegeben seien. Doch ohne die Priorität auf der politischen Agenda sei das ein mühseliges Unterfangen.

Spannungsfelder

Während der Debatte kristallisierten sich drei tragende Spannungsfelder heraus, die den Aufbau und das Betreiben eines Gemeinschaftsgartens stets begleiten: 1) Ehrenamt versus Hauptamt; 2) Selbermachen versus Kaufen; 3) System versus Lebenswelt.

Kann die Verständigung zwischen entfremdenden bürokratischen Hürden und lebensweltlichem Enthusiasmus verbessert werden? Während des Fishbowls ist das zumindest gelungen. Die Teilnehmer*innen waren sich einig, dass in den Behörden und auf politischer Ebene noch einiges geschehen müsse und sie selbst zu einer solchen Entwicklung etwas beitragen.

Workshops

Nach dem thematischen Einstieg und einer ausgiebigen Mittagspause, die zum gemeinsamen Essen und Vernetzen genutzt wurde, startete die Vielfalt der Workshops in drei Blöcken. In jedem Block fanden bis zu acht teilweise parallele Workshops an unterschiedlichen Orten des ausgedehnten Gärtnereigeländes statt. Der erste Block am Samstag von 15 Uhr bis 16: 30 Uhr umfasste:

Nach einer kurzen Kaffee- und Snackpause ging es vor dem gemeinsamen Abendessen 17 Uhr mit dem zweiten Workshopblock weiter.

Nach dem Abendessen fand im „Wohnzimmer“ mit Almut vom Gartennetzwerk Hamburg eine Austauschrunde zum Aufbau lokaler Garten-Netzwerke statt. Was gibt es zu beachten, welche Erfolgsfaktoren und Fall-stricke gibt es, wie können die Netzwerke organisiert werden? Es gab einen Input zum Stand der Dinge in Hamburg und einen anschließenden Austausch der Erfahrungen. Danach wurde im Gewächshaus auf dem frisch verlegten Holzboden, eingeheizt von DJs, gefeiert und getanzt. Am nächsten und letzten Tag startete der Tag um 8:30 Uhr mit einem ausgiebigen Frühstück, einer anschließenden Begrüßung und einer Vorstellung der letzten Workshoprunde.


Fazit

Welche Lehren lassen sich abschließend aus dem Urban-Gardening-Sommercamp in Dresden ziehen? Das Wochenende war ein angeregter und neugieriger Austausch zwischen Gleichgesinnten. Die Alte Gärtnerei hat sich als blühender Lernort dargeboten. Eines ist klar geworden: Das Betreiben eines Gemeinschaftsgartens ist weit mehr als das bloße Anpflanzen, Gießen und Ernten. Er ist ein politischer Ort, erfordert kommunikatives, organisatorisches, naturwissenschaftliches Know-how und einen informierten und geschickten Umgang mit kommunalpolitischen Verwaltungsstrukturen. Der Garten ist ein sozialer Treffpunkt, er ist ein Ort des Caring um die Mitwelt und des Sharing unterschiedlicher Wissenskulturen. Gemeinsam werden Selbstwirksamkeitserfahrungen gemacht, die auch in anderen gesellschaftlichen Kontexten zum Tragen kommen können.

Häufig war auch die Rede davon, dass die lebensfördernde Sorge auch in andere Bereiche hineinwirken kann: Erst werden gemeinsam Pflanzen gegossen, dann mal auf die Kinder aufgepasst, Sprachen weitergegeben oder in der Not ausgeholfen. Das Gärtnern als vergemeinschaftende Tätigkeit erscheint als Mittel zum Zweck der Verständigung über ein gutes Zusammenleben. In gemeinsamer Sache entsteht ein realutopisches Paradies, wie die Kinder in der Eingangsgeschichte es entdeckt haben. An diesem Wochenende bin ich stets freundlichen, offenen und wissbegierigen Menschen begegnet. Er ist Oase und Projekt, sorgt für ein besseres Klima in der Stadt und zwischen den Menschen. Die Rückmeldungen zum Urban Gardening Sommercamp in der Alten Gärterei in Dresden waren durchweg positiv. Der Ort zeigt seine Wirkung, innen wie außen.