Von Andrea Baier auf Montag, 24. Februar 2020
Kategorie: allgemein

Kein Ende der Geschichte!

Der Soziologe Ingolfur Blühdorn sorgt sich schon seit Längerem darum, dass der modernen Demokratie ihre Grundlagen abhandenkommen – hier insbesondere die nationalstaatliche Souveränität sowie die Verfügung über natürliche und gesellschaftliche Ressourcen, die bisher Wohlstand und Umverteilung ermöglichten.

Der Professor für soziale Nachhaltigkeit an der Wirtschaftsuniversität Wien leitet das Institut für Gesellschaftswandel und Nachhaltigkeit. Jetzt hat er mit Kolleg_innen ein neues Buch veröffentlicht mit dem vielsagenden Titel „Nachhaltige Nicht-Nachhaltigkeit“. Wer immer schon wissen wollte, „warum die ökologische Transformation der Gesellschaft nicht stattfindet“ (Untertitel), findet in dem Sammelband soziologisch fundierte Antworten. Ob einem* diese Antworten gefallen, steht auf einem anderen Blatt. Blühdorn & Kolleg_innen wollen nicht darin gefallen, die Verhältnisse schönzureden, das überlassen sie anderen. Sie wollen auch keinen (falschen) Trost verbreiten, sie wollen aufzeigen, was ist. Dies allerdings schon in der Hoffnung, dass das klare Erkennen dessen, was ist, helfen könnte bei der Wende zum Besseren.

Im Unterschied zu anderen Nachhhaltigkeitsforscher_innen, die mit Verweis auf nachhaltigen Konsum und Nischenaktivismus die Gesellschaft auf einem guten Weg sehen, befassen sich Blühdorn & Kolleg_innen vor allem mit den Blockaden, die der gewollten Trendwende in Richtung sozial und ökologisch nachhaltige Gesellschaft entgegenstehen; mehr noch, sie bezweifeln, dass die sozial-ökologische Transformation überhaupt (noch) gewollt ist. Das Paradigma der Nachhaltigkeit, auf das man sich, zumindest theoretisch, einmal geeinigt hatte (im Erdgipfel von Rio 1992 und den Klimaabkommen seit Kyoto 1997), steht derzeit grundsätzlich zur Disposition. Mit der Erschöpfung der Ressourcen verbreite sich das Gefühl, dass eben doch nicht genug für alle da sei, und es werde die Parole ausgegeben „Rette sich, wer kann“.

Blühdorn beobachtet in den westlichen Gesellschaften – gerade auch in ihren kosmopolitischen Milieus – die wilde Entschlossenheit, den gewohnten Lebensstil, komme was wolle, zu verteidigen. Auch um den Preis, sich von Gerechtigkeit- und Menschenrechtidealen zu verabschieden. Die AfD, so seine provozierende These, verfolge die Politik des Ausschlusses lediglich offen, die andere Parteien, mit Rücksicht auf Wählerstimmen, klammheimlich verfolgten. Der empörte Abscheu gegen die völkische Rede sei nichts weiter als eine Externalisierungsstrategie, so wie die Verschiffung von Müll in den Globalen Süden eine ist.

So weit, so desillusionierend. Allerdings betont Blühdorn eingangs zurecht, dass wir es nicht nur mit der Transformation der empirisch-sozialen Verhältnisse, sprich mit dem Klimawandel, der Erschöpfung der Ressourcen etc., zu tun haben, sondern vor allem auch mit den Formen ihrer sozialen Wahrnehmung und den Maßstäben ihrer Bewertung. Und das bedeutet, es ist noch lange nicht ausgemacht, wie sich die Verhältnisse entwickeln werden. Die Formen der sozialen Wahrnehmung und die Maßstäbe ihrer Bewertung müssen nicht bleiben, wie sie sind. Ob die Subjekte ihre Bedürfnisse nach Freiheit, Selbstverwirklichung und Authentizität auf Dauer mit ihren Konsummöglichkeiten zusammenfallen sehen, ist so offen wie offensichtlich ist, dass die Geschichte keineswegs an ihr Ende gekommen ist.

Ingolfur Blühdorn (mit Felix Butzlaff, Michael Deflorian, Daniel Hausknost, Mirjam Mock) (2020): Nachhaltige Nicht-Nachhaltigkeit. Warum die ökologische Transformation der Gesellschaft nicht stattfindet, Bielefeld: transcript Verlag

https://www.transcript-verlag.de/978-3-8376-4516-3/nachhaltige-nicht-nachhaltigkeit/