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Nils Kumkar im Münchener „Gesellschaftsraum“ ©Marlen van den Ecker
In einem sind sich die Menschen in Deutschland wohl einig: Die Gesellschaft ist gespalten. Oder wie würden Sie auf diese Frage antworten? Eben. Aber woran genau machen Sie Ihre Antwort fest? An „sieht man doch jeden Tag“ oder „an den Wahlergebnissen?"
Der Soziologe Nils Kumkar hat jüngst ein Buch mit dem Titel Polarisierung vorgelegt. Wir haben ihn bei seinem Vortrag in München gehört und beim anschließenden Kneipenbesuch weiter mit ihm diskutiert. Wir wissen jetzt: Die Gesellschaft ist in den Kernfragen gar nicht gespalten. Aber warum nehmen so viele - ja, auch wir - die Gesellschaft als gespalten wahr?
Worin sich neben der Spaltung der Gesellschaft auch sehr viele einig sind: Wollen wir nicht alle auf einem sicheren und gesunden Planeten leben? Sind wir uns nicht darin einig, dass gelingende Beziehungen – ob zwischenmenschlich, mit anderen Lebewesen oder Dingen – uns grundsätzlich guttun? Dass gegenseitige Aggression, ständiger Wettbewerb und Optimierungsdruck für ein gutes Leben nicht gerade zuträglich sind? Und doch gibt es eine Menge Dinge, worüber man sich ärgert. Worüber ärgern Sie sich? Was triggert Sie? Ist deswegen etwa die ganze Gesellschaft gespalten?
Nils Kumkar beschreibt Polarisierung, die uns zugleich eint und spaltet, als kommunikatives Ordnungsmuster. Er sagt, wir führen Debatten so, als gäbe es ganze Gruppen, die auf der einen Seite stehen und andere auf der gegenüberliegenden. Wenn wir gesellschaftliche Auseinandersetzungen führen, tun wir so, als wäre die Gesellschaft gespalten – und wenn wir sie beobachten, dann sehen wir genau das: Polarisierung. Zeitungen, Nachrichten, Massenmedien und sogenannte Social Media sind voll von Spaltungsdiagnosen. So ordnen Medien, Politik, und wenn wir selbst daran teilnehmen, auch wir selbst, die Welt, indem wir die Komplexität auf zwei magnetische Pole reduzieren und uns und die anderen darin einordnen. So weit, so bekannt. Neu ist allerdings: Die polarisierenden Agitationen gegen Erfolge im Bereich kulturelle Vielfalt sowie der Ökologisierung von Gesellschaft und Ökonomie nehmen deutlich zu (backlash). Denn die Polarisierungsunternehmer (korrekt gegendert) profitieren von spalterischen Tendenzen, von Ab- und Ausgrenzung, von Hetze und Diffamierung.
Was Soziolog*innen herausfinden, hat nicht allzu oft eine Wirkung auf die Gesellschaft, in der sie forschen. Wir könnten jedoch zukünftig darauf achten, die Welt in ihrer Komplexität und Vielschichtigkeit anzuerkennen. Dann bewahren wir nicht nur die o.g. Erfolge, sondern entziehen den Nutznießern der Polarisierung ihren Treibstoff der Destruktivität.
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