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Die Welt im kollektiven Reparaturmodus

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Reparaturcafés und Netzwerke, Philosophinnen und Tecchies, Akteure aus Wissenschaft und Forschung, Bildung und Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft für ein herstellerunabhängiges Recht auf Reparatur – rund 220 Menschen aus über 20 Ländern kamen im September 2025 in London-Hackney zum Fixfest zusammen. Eingeladen hatte das The ReStart Project, das bereits 2017 das erste Fixfest organisiert hatte. Schon die Vielfalt der Teilnehmenden machte deutlich, wie sehr das Thema Reparieren weltweit an Bedeutung gewinnt.

Die Veranstaltung begann Donnerstagabend mit einem informellen Treffen bei einer lokalen „Fixing-Factory“, einem neuen Standort des Gastgebers The ReStarters. Dort werden regelmäßig kostengünstige Kurse und Workshops zu diversen Reparaturpraktiken und Themen für die lokale Bevölkerung angeboten, um Alltagskompetenzen zu steigern. Außerdem fungiert die Factory wie ein lokaler Reparaturbetrieb für all die Produkte und Gegenstände, für die keine Dienstleister zu finden sind. Und natürlich werden regelmäßig Reparaturcafé-Veranstaltungen ausgerichtet.

Drei inhaltliche Schwerpunkte waren klar gesetzt: Diskutiert wurden Status und Zukunft des Rechts auf Reparatur auf politischer Ebene. Auch wirtschaftliche Fragen spielten eine Rolle: Wie lassen sich kleine und mittlere Betriebe stärken, damit Reparatur nicht nur eine ehrenamtliche, sondern auch eine tragfähige wirtschaftliche Praxis bleibt? Und im Mittelpunkt stand das geteilte Verständnis von Reparieren als gemeinschaftliches, nicht-kommerzielles Tun, das Teilhabe ermöglicht, Verbindung schafft, Bildung fördert und Menschen spüren lässt, selbst etwas bewirken zu können.

Der erste Tagungstag fand in der City Hall des Londoner Stadtteils Hackney statt. Nach der Begrüßung durch die Bürgermeisterin standen auf dem Programm: Eine Paneldiskussion besetzt mit „Right-to-Repair“-Aktivist*innen (USA, Kanada, Australien, Belgien, Frankreich, Uganda/Südsudan), anschließend dann Gruppen-Sessions zu übergeordneten Themen (Daten zu Reparatur und verschiedene Forschungsansätze und -erkenntnisse, Europäisches „Recht auf Reparatur“, Netzwerke und ihre Herausforderungen, Spielräume und Wirkungsfelder in den verschiedenen Ländern, et al.). Ganztägig gab es in m Hauptsaal einige Stände von Unternehmen, Projekten oder Forschungsteams. Der zweite Tag fand an einer nahegelegenen Hochschule in Form einer teilkuratierten „Unkonferenz“ statt: Die Teilnehmenden brachten eigene Session-Themen ein, es gab Kurzimpulse, so dass sich eine breite Themenpalette entfaltete rund um Reparatur und Bildung, Reparaturcafé als städtische Gemeinschaftseinrichtungen, Fragen zu Möglichkeiten und Begrenzungen von Reparieren als Geschäftsmodell, Fragen um rechtliche Ausgestaltung der Forderungen um ein „Recht auf Reparatur“ oder Reparatur und AI. 

Die Programminhalte des Fixfest 2025 können hier nachgelesen werden.

Die Atmosphäre war von Kooperation statt Konkurrenz geprägt. Internationale Unterschiede traten als Lernangebot hervor. Ob Erfahrungen zum Reparieren als Krisenbewältigung aus Uganda und Sudan, das französische Beispiel eines herstellerfinanzierten Reparaturfonds oder politische Strategien aus den USA – jede Perspektive wurde ernst genommen und als Teil einer gemeinsamen Suche nach Lösungen gesehen. Besonders erhellend und eindringlich waren die Schilderungen und Bezüge von Purna Sakar (Indien) und Mathew Lubari (Südsudan): Purna hob die besondere Rolle und Bedeutung des informellen Reparatursektors in Indien hervor und wie mit einfachsten Mitteln Kleinstgewerbe aufgebaut werden und damit Familien ernährt werden, wie sich Wissen und Fähigkeiten in z.T. dysfunktionalen und chaotischen Großstädten ihren Weg zu resilienten und selbstorganisierten Gemeinschaften zusammenfügt. (Im Kurzfilm „Tailormade City“ hat Purna dies auch filmisch festgehalten.)

Mathew beschrieb, welche Relevanz gemeinschaftliche Reparatur von lebenswichtigen Dingen in einem der größten Geflüchteten-Camps Ugandas (Rhinocamp) hat und wie gemeinsames Reparieren sich auch als Mittel von individueller Traumabewältigung von Krieg und Flucht und kollektiven Heilungsprozessen für kriegsversehrte Menschen ausnimmt. Ehemalige Feinde kämen z.B. über das gemeinsame Engagement für eine gute Zukunft einander wieder näher. Die Erfahrung von Selbstwirksamkeit, Autonomie und Kompetenz helfe, aus der Apathie wieder herauszufinden und sich erneut der aktiven Lebensgestaltung zu widmen.

Deutlich wurde auch die Dringlichkeit des Themas Reparatur: Noch immer ist es in den Ländern des globalen Nordens einfacher und oft billiger, neu zu kaufen statt zu reparieren. Viele Teilnehmende betonten, dass Hersteller noch viel stärker in die Verantwortung genommen werden müssten als z.B. die europäische Gesetzgebung das bisher adressiert. Insbesondere Policymaker und Lobbyakteure, die sich auf europäischer Ebene für ein Recht auf Reparatur einsetzen, betonten, wie schwer es ist, sich gegen Konzernlobby und den rechten Wind auch in Brüssel spürbar durchzusetzen oder überhaupt Gehör zu finden.

Reparieren ist soziale Praxis, politische Forderung und kulturelle Haltung zugleich


Geprägt war die gesamte Veranstaltung von freundschaftlich-interessiertem, angeregten und ideenreichen Austausch und gegenseitiger Wertschätzung. All die unterschiedlichen Konzepte, Ideen und Ausprägungen rund um Community-Repair erzeugten eine wuselige, fröhliche und ansteckende Stimmung, die für die Teilnehmenden als Bestätigung und Motivationsschub für die eigenen Arbeit wirkt. Am Ende blieb der Eindruck einer Bewegung, die nicht nur Probleme beschreibt, sondern konkrete Antworten und Hoffnungen formuliert. Das Fixfest 2025 zeigte, dass Reparatur weit mehr ist als eine technische Frage: Sie ist soziale Praxis, politische Forderung und kulturelle Haltung zugleich. Die Teilnehmenden gingen mit dem Gefühl auseinander, Teil von etwas Größerem zu sein – einer weltweiten Bewegung, die Kooperation, Gemeinschaft und ökologischen Wandel verbindet.

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Dabeibleiben


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