Postwachstum

Wachstum gehört zu den wirkmächtigsten Konzepten und Versprechen der spätindustriellen Gesellschaft. Wer Wachstum beschleunigt und hohe Raten verzeichnet, dem steht angeblich die Zukunft offen, der mehrt den Wohlstand. Wachstum wird als magische Formel gehandelt, auf Wachstum beruht die sozialstaatlich eingebettete Übereinkunft zwischen Kapital und Gewerkschaften, es liefert das Skript der Umverteilungskämpfe der letzten Jahrzehnte.

Wirtschaft ohne Wachstum kann sich heute kaum jemand vorstellen, aber stetiges Wachstum setzt die grenzenlose Tragfähigkeit der Erde voraus. Schon heute werden um knappe Ressourcen wie „seltene Erden“ Kriege geführt. Diagnostiziert werden nicht nur Peak Oil und Peak Soil, sondern gleich „Peak Everything“ (Heinberg 2010, > Erdöl). Ökologische Ökonomen halten Wachstum und Nachhaltigkeit nicht zuletzt wegen der Rebound-Effekte für unvereinbar (Paech 2012, Seidl/Zahrnt 2010).

Hinzu kommt: Der Zusammenhang von materiellem Wohlstand und individuellem Wohlbefinden ist nur bis zu einem bestimmten Grad nachweisbar, immer mehr von vielem macht weder glücklich noch zufrieden, so legen Ergebnisse der Befindlichkeitsforschung nahe. Menschen scheinen neben einem gewissen materiellen Wohlstand vor allem Zugehörigkeit, Anerkennung, Zeitwohlstand und soziale Gerechtigkeit zu brauchen, um Zufriedenheit zu empfinden.

Die westlichen Gesellschaften benötigen also neben neuen Institutionen auch neue Wohlstandsmodelle und -indikatoren. In den > Commons-orientierten Projekten werden postmaterielle Lebensstile nun erprobt: Kooperation statt Konkurrenz, weiterverwerten statt wegwerfen, weniger kaufen, dafür gemeinschaftlich nutzen, lokale Vielfalt genießen, teilen, schenken, leihen. Sie haben erfahren, dass Do it Together glücklicher macht als individueller Konsum. Und sie wissen auch: Postwachstum muss nicht nur demokratisch legitimiert, sondern auch partizipativ organisiert werden. Die Laboratorien der Stadtgesellschaften nehmen ihre Arbeit auf.

Paech, Niko (2012): Befreiung vom Überfluss. Auf dem Weg in die Postwachstumsökonomie. München: oekom.
Seidl, Irmi/ Zahrnt, Angelika (Hg.) (2010): Postwachstumsgesellschaft. Konzepte für die Zukunft, Marburg: Metropolis.

 

> zurück zur Übersicht