Subsistenz meint alles, was notwendig ist für ein (gutes) Leben, nicht nur Güter und Dienstleistungen, sondern auch menschliche Beziehungen, Erfahrungen von Zugehörigkeit und Kompetenz. Subsistenz ist die Grundlage aller Ökonomie und ihr eigentlicher Kern (oikonomia: altgriechisch für Haushaltsführung).
Subsistenz im Sinne von nicht-warenförmiger, nicht bezahlter Arbeit macht auch heute noch das Gros der gesellschaftlich notwendigen Arbeit aus, trotz des verbreiteten Mythos, Menschen würden von der Lohnarbeit und der Warenproduktion leben: Ungefähr zwei Drittel aller Arbeitsstunden entfallen in Deutschland auf die Subsistenzarbeit, weltweit sind höchstens ein Fünftel aller Arbeitsstunden bezahlte Arbeit. 30 Prozent der Weltbevölkerung lebt unmittelbar von der landwirtschaftlichen Subsistenzproduktion. Entgegen ihrer tatsächlichen Verbreitung existiert allerdings kaum ein Bewusstsein über die Bedeutung dieser Produktion. Wirtschaftliches und politisches Handeln orientiert sich an den Erfordernissen der Warenproduktion. Die Produktion von Waren und Geld gilt als wichtiger als die Produktion von Leben, sodass sämtliche problematische Folgen der Industrie als unvermeidbar in Kauf genommen werden.
Die Situation der Subsistenz(-produktion) heute ist ihre Indienstnahme durch die Warenproduktion. Die Etablierung einer von der Warenproduktion kontrollierten Form von Subsistenzarbeit ist die entscheidende Neuerung der kapitalistischen Marktwirtschaft und eine Bedingung ihrer Existenz: Abschaffen kann man die Subsistenzproduktion nicht. Sie produziert nach wie vor die alltäglichen Voraussetzungen des Lebens und ist insofern Grundlage jeder Gesellschaft und aller Produktion, auch der kapitalistischen. Allerdings hat sie ihren Charakter verändert; sie wurde von einer eigenständigen zu einer abhängigen Produktion, von einer gesellschaftlich geachteten zu einer gesellschaftlich unsichtbaren.
Gibt es nichtsdestotrotz heute in industrialisierten und urbanisierten Gesellschaften Möglichkeiten einer neuen Subsistenz, die die Menschen weniger konsumabhängig und zugleich fähiger macht, für sich und andere selbst zu sorgen? Diese Frage wird von Protagonisten des DIY klar mit „Ja“ beantwortet. Das Motiv der DIY-Gemeinde ist eben nicht: Geld zu sparen (wie es beim klassischen Baumarkt-Selbermachen der Fall ist), sondern eher: weniger Geld zu benötigen, von Geld unabhängiger zu werden, die Geldorientierung zu vermindern. Im Selbermachen kündigt sich ein neues gesellschaftliches Verhältnis zu Subsistenz an: Wenn Haushalt und Handwerk nicht mehr als unmodern gelten, sondern Gärtnern, Einkochen, Stricken, Bauen als Avantgarde, wenn schließlich als öffentlich reklamierbares Kriterium für Lebensqualität gilt, dass man Dinge selber herstellen kann bzw. herzustellen weiß, wenn Dinge länger genutzt und aus Wohlstandsmüll Gebrauchsgüter werden, hat das womöglich weitreichende Folgen.
Subsistenztätigkeiten sind über Jahrzehnte ins gesellschaftliche Abseits gedrängt worden, sollten möglichst zeitsparend und nebenher erledigt werden. Der Haushalt wurde immer mehr ein Ort des Konsums. Frauen wie Männer sollten Lohnarbeiter, beide später dann Arbeitskraftunternehmer werden, alle Produkte sollten sich zu Waren umgestalten, alle gesellschaftlichen Bereiche dem ökonomischen Prinzip folgen. Doch diese Entwicklung, die die Welt tendenziell in ein Warenhaus verwandelt, gerät wegen der ökologischen, sozialen und auch psychologischen Kosten, die sie verursacht, erkennbar an ihre Grenzen.
Die Renaissance der Subsistenz ist womöglich eine erste praktische Antwort auf diese Kollateralschäden. Noch sind es wenige, die das Leben im Konsumentenmodus infrage stellen, aber die das tun, beginnen, anders zu wirtschaften und herrschende ökonomische Logiken auf den Kopf zu stellen. In der Subsistenz geben Kooperation und Solidarität statt Konkurrenz und Einzelkämpfertum den Ton an.
Arbeitsgruppe Bielefelder Entwicklungssoziologen (Hg.) (1979): Subsistenzproduktion und Akkumulation. Saarbrücken: Breitenbach.
Baier, Andrea (2004/2010): Von der Hausfrauendebatte zur Subsistenzperspektive. Der Bielefelder (Subsistenz-) Ansatz. In: Becker, Ruth/ Kortendiek, Beate (Hg.), Handbuch Frauen- und Geschlechterforschung, S. 75-80, Opladen: Leske+Budrich.
Baier, Andrea/ Müller, Christa/ Werner, Karin (2007): Wovon Menschen leben. Arbeit, Engagement und Muße jenseits des Marktes. München: oekom.
Dahm, Daniel/ Scherhorn, Gerhard (2008): Urbane Subsistenz. Die zweite Quelle des Wohlstands. München: oekom.
Werlhof, Claudia von/ Mies, Maria/ Bennholdt-Thomsen, Veronika (1983): Frauen, die letzte Kolonie. Reinbek: Rowohlt.