Das Verhältnis von Stadt und Natur, geprägt durch die moderne Industriegesellschaft, gerät seit einiger Zeit von zwei Seiten unter (produktiven) Druck. Da sind nicht nur die Praxen des > Urban Gardening, verbunden mit der Wiederentdeckung der > Subsistenz und der Rückkehr der produktiven Gärten in die Stadt. Da sind auch die Wanderungsbewegungen der Wildtiere vom Land in die urbanen Räume. Hier finden zugelaufene und zugeflogene Tiere wie Füchse, Kaninchen, Nachtigallen, Uhus und Wanderfalken nämlich bedeutend bessere Lebensbedingungen, weniger Pestizide, mehr Futter und eine reichhaltigere Flora als in den industriell ausgeräumten und überdüngten Monokulturen des Landes. Die Artenvielfalt in Großstädten ist mittlerweile erheblich größer als in den Kulturlandschaften und keineswegs als Natur „zweiter Klasse“ zu betrachten (Reichholf 2007).
Das ist ein erstaunlicher Befund und ein höchst eigener Kommentar zum Antiurbanismus vergangener Jahrzehnte. Die von Alexander Mitscherlich zu Recht kritisierte „Lebensfeindlichkeit und Unwirtlichkeit der Städte“ wird durch die Praxen des DIY in der postfordistischen Stadt unterlaufen, und die Präferenzen der Tiere verweisen heute auf die Unbewohnbarkeit des Landes.
Aber was wird aus den ländlichen Räumen, die mehr denn je zu Lagerstätten von giftiger Gülle und antibiotikaverseuchtem Grundwasser sowie zum Standort von systematischer Tierquälerei in der Masthaltung verkommen? Die neuen urbanen Landwirtschaftsaktivitäten interessieren sich durchaus für diese Frage, sie sind nicht Ausdruck einer romantischen Verklärung des Landes, sondern der Suche nach einer Stadt, die sich die wahren Kosten ihrer Existenz auf die eigene Rechnung schreiben und nicht an ihre Umgebung delegieren will.
Reichholf, Josef H. (2007): Stadtnatur. Eine neue Heimat für Tiere und Pflanzen. München: oekom.